Kurzgeschichten von Anne Wöckener-Gerber
Kurzgeschichten von Anne Wöckener-Gerber

Am Tisch

 

Cord starrte an die Decke der  Ferienwohnung.  Die  Silberhochzeit war super gewesen:  fast alle der 120 eingeladenen Gäste waren gekommen, das Essen schmackhaft, die Glückwünsche  und Geschenke ehrlich und rührend.

Die Astlöcher der Deckentäfelung erinnerten ihn an den Anus seiner Geliebten. Fast alles erinnerte ihn an sie. Er spürte, dass sich sein „Geselle“ – so nannte er seinen Penis -  rührte. Cord lauschte auf die Geräusche aus dem Nachbarzimmer. Der Fernseher lief. Inga Lindström oder so. Silke liebte diese Schmonzetten. Sie würde also noch beschäftigt sein. Michel und Jonathan waren noch nicht zurück vom Skaten. Zum vierten Mal heute öffnete er seine Hose. Sein „Geselle“ kam ihm bereits entgegen. Cord liebte seine Potenz.

Schritte nebenan. Er zog schnell die Bettdecke über sich und drehte sich auf die Seite. Das Bett knarrte laut. Die Tür wurde aufgerissen.

„Na, Mäusebacke?!“

Cord versenkte sein Gesicht in dem gummiartigen Kopfkissen. Es müffelte. Wie Bifi plus Erfrischungstücher. Er verzog den Mund.

„Mäusebacke, kannst du mal den Tisch decken? Ich habe Eiersalat zum Abendbrot gemacht. Die Jungs haben gerade gesimst, sind spätestens in zehn Minuten hier.“

„Ich habe keinen Hunger.“ Cord starrte auf Silkes Birkenstocks. „Ich hab‘ dich lieb.“

Er stand auf, schloss seine Hose, schlich sich an seine Frau heran und umarmte sie von hinten. „Von hinten geht immer!“, schoss es ihm durch den Kopf. Das meinte jedenfalls seine Geliebte. Es ruckte wieder in seiner Hose.

„Komm, Silke, leg dich auf den Esstisch!“

„Nein, das will ich nicht!“ Silke knallte die Teller auf den Tisch. Cord schob sie ordentlich an ihre Plätze.

Es klingelte an der Wohnungstür: Michel und Jonathan, verschwitzt und mit aufgeschürften Händen. „Hi!“ Ein Duett ihrer Stimmen, mehr oder weniger im Stimmbruch. Sie verstauten ihre schlaksigen Körper am Tisch. „Hunger!“, gähnte Jonathan. „Is‘ was?“ Irritiert blickte er von seiner Mutter zu seinem Vater, zu seiner Mutter. „Hände waschen!“ befahl Silke den beiden.

Als sie aus dem Bad zurückkamen, setzte sie sich zwischen ihre Söhne. Sie streichelte deren Oberschenkel.

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© Anne Wöckener-Gerber