Kurzgeschichten von Anne Wöckener-Gerber
Kurzgeschichten von Anne Wöckener-Gerber

Liebeskummer

 

Nur nicht mehr nackt am Strand liegen wollte Bianca. Mit beiden Händen schob sie das schwarze Strickkleid, das an ihren Hüften hochgekrabbelt war, runter. Sie drehte sich vorm großen Spiegel im Flur. Sie sah eine kleine, pummelige Frau mit einem runden Puppengesicht, großen blauen Augen, langen dunklen Wimpern und ebenmäßigem Teint. 

Im Spiegel begegnete sie Philipps Blick, der neben den gepackten Koffern wartete. In 20 Minuten sollte das Taxi kommen, um sie zum Flug nach Windhuk zu bringen. 

„Wenigstens bin ich überall gleich dick.“, lachte Bianca ihm über die Schulter zu. Sie hob ihre Brüste an und ruckelte sie kurz hin und her. „Waren die Titten von Natalie auch so groß?“ Sie wusste, dass Philipp es mochte, wenn sie bei allem, was mit Sex zu tun hatte, ordinär wurde.

„In etwa“, antwortete Philipp einsilbig.

„Warum wolltet ihr damals eure Hochzeitsreise nach Namibia machen?“ 

„Natalies Großeltern haben dort etliche Jahre gelebt. Sie hat sie dort ein paar Mal besucht und war fasziniert von der Natur.“

„Ich würde unsere Hochzeitsreise nach Paris machen wollen.“, seufzte Bianca.

Philipp schwieg. 

„Was war eigentlich am schlimmsten daran, dass Natalie dich kurz vor der Hochzeit verlassen hat?“

„Das weißt du doch. Ich kann mich nicht mehr völlig auf eine Frau einlassen.“

„Ja, ja und deshalb hast du dich auch kurz nach der geplatzten Feier sterilisieren lassen.“, leierte Bianca weiter. „Ey, Philipp, das ist 14 Jahre her, wir sind seit 13 Jahren ein Paar. Kannst du den Scheiß nicht auf sich beruhen lassen? Liebeskummer hat jeder mal.“

„Vielleicht“, wand Philipp sich aus ihrem Vorwurf. Er rollte einen Koffer ein Stückchen vor und zurück

Bianca setzte sich auf die kleine Bank neben dem Spiegel. Sie kramte in ihrer Handtasche nach der Rolle mit Keksen und schob sich einen in den Mund. 

„Hast du ein Kaugummi für mich?“, fragte Philipp.

Bianca nickte und warf ihm die Packung zu.

„Guck mal!“ Bianca zupfte Philipps Pass aus den Reiseunterlagen.

„Das ist mir bei deinem neuen Passfoto aufgefallen: Deine Gesichtshälften sind total unterschiedlich.“

„Was meinst du?“ Philipp ging zu ihr rüber. 

Bianca deckte mit ihrem Zeigefinger auf dem Foto seine linke Gesichtshälfte ab. „So siehst du ganz müde und traurig aus.“ Bianca deckte die rechte Hälfte ab. „So wirkst du richtig abenteuerlustig.“

An der Haustür wurde Sturm geklingelt. Philipp und Bianca guckten sich fragend an. 

Philipp öffnete die Tür. Maja, Biancas Tochter, stürzte an ihm mit verheultem Gesicht vorbei.

„Maaamaaa!“, schluchzte sie und warf sich Bianca in die Arme. 

Philipp schubste mit einem Fuß ihre Sporttasche nach draußen.

„Lukas hat mit mir Schluss gemacht.“, brachte sie mit tränenerstickter Stimme heraus. 

Bianca streichelte ihr über den Rücken, Philipp reichte ihr ein Taschentuch. 

„Lukas ist ein Arschloch!“, versuchte Philipp zu trösten. 

Maja heulte auf, Bianca sah ihn strafend an. 

Maja machte sich ein bisschen von Bianca los und sah sich um. 

„Warum steht ihr hier mit den Koffern im Flur?“

„Wir fliegen doch heute nach Namibia. Das Taxi zum Flughafen müsste gleich kommen.“

„Kann ich mitkommen?“, fragte Maja weinerlich.

„Maja, wir machen hier keinen Ausflug in die Lüneburger Heide. Deine Mutter und ich fliegen nach Afrika.“, presste Philipp hervor. „Du bist 20. Liebeskummer hat jeder mal. Frag deine Mutter!“

Das Taxi hupte.

„Ich bleibe hier.“, sagte Bianca.

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© Anne Wöckener-Gerber