Hundeleben
Die Wärme des Kaminofens schlug Fred schon in der Haustür entgegen. Er zog sich die rote Mütze vom Kopf. Die zwei Golden Retriever von Ute tapsten mit sandigen Pfoten ihm hinterher und schüttelten ihr feuchtes Fell.
Fred merkte, dass er durch den Mund zu atmen begann, und schloss ihn wieder schnell, weil er sich an den Hundegeruch gewöhnen wollte.
„Soll ich sie mal streicheln?“, fragte Fred Ute, die erschöpft vom langen Strandspaziergang als letzte hereinkam.
„Da brauchst du doch nicht zu fragen.“, sagte Ute lächelnd. Die Grübchen verliehen ihr dabei etwas Mädchenhaftes.
Fred streckte einen Arm gerade aus und fuhr leicht mit der Hand über den Rücken des Hundes.
„Doch nicht so!“, wies Ute ihn lachend zurecht. Sie kniete sich neben den Hund, vergrub die Hände im Fell und kraulte ihn hinter den Ohren.
„Ja, das gefällt meinem Hoppe… Ja, ist ja gut…“ Sie schmiegte ihren Kopf an seinen.
Fred konnte sich einfach nicht merken, wer von den beiden „Hoppe“ und wer „Tosse“ war. Er hielt es auch für unwichtig, weil sie ohnehin nur auf Ute hörten. Dass Ute die beiden nach dem Schiff von Pippi Langstrumpfs Vater genannt hatte, fand er geistreich witzig, was er ihr auch gesagt und sie mit einem kessen Zwinkern quittiert hatte.
„Soll ich uns einen Kakao machen?“, schlug Fred vor.
„Oh, ja, gerne!“
Fred erhitzte in der Küche die Milch, rührte Kakaopulver ein, füllte zwei Becher damit und sprühte eine große Portion Fertigsahne darauf.
Ute hatte es sich auf dem breiten Sofa bequem gemacht. Fred stellte die Becher auf dem Tischchen ab und schob noch ein paar Scheite in den Ofen nach. Ute klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. „Komm her!“
Fred ließ sich in die Sofaecke fallen, setzte sich mit dem Rücken an die Armlehne, legte die Beine gespreizt auf die Sitzfläche, sodass Ute dicht zu ihm rutschen und seinen Bauch als Rückenlehne benutzen konnte.
„Schön kuschelig!“, freute sich Fred.
Ute reichte ihm einen Becher.
„Dankeschön.“ Die freie Hand legte er ihr auf den Bauch. Er schlürfte den heißen Kakao durch die kühle Sahneschicht.
Ute lehnte ihren Kopf an seine Brust. Ihren Kakaobecher drehte sich in den Händen.
„Habe ich dir schon mal erzählt, was für faszinierende Tiere Orcas sind?“, fragte Ute ohne den Kopf zu wenden.
„Ja, aber du kannst es noch einmal tun. Ich höre dir gerne zu.“
Fred lauschte Utes Ausführungen wie dem Meeresrauschen, das in diesem Ferienhaus zu hören war. Manchmal drang ein Begriff wie „Pods“ oder „soziale Interaktion“ zu ihm durch, er dachte aber nicht weiter darüber nach.
Er nahm seine Hand von ihrem Bauch, legte sie über ihre Schulter, suchte damit den Ausschnitt ihres Pullovers und ließ sie hineingleiten.
„Nein!“ Ute riss seine Hand weg und stand auf.
„Tut mir leid!“, sagte Fred kleinlaut.
„Ich schaue nach den Hunden. Die haben bestimmt Hunger.“ Ute ging in das Schlafzimmer, wo die beiden einträchtig nebeneinander auf einer Decke lagen.
„Ich fahre nochmal zum Supermarkt und kaufe Futter.“, rief Ute kurz ins Wohnzimmer.
Fred wusste, dass das ein Vorwand war, um jetzt nicht mit ihm reden zu müssen. Er erinnerte sich, wie sie sofort das Badelaken um sich gewickelt hatte, als sie zusammen in der Sauna waren. Er hatte trotzdem einen kurzen Blick auf die Stelle ihres Oberkörpers werfen können, wo einmal ihre linke Brust gewesen war vor der notwendigen Amputation wegen Brustkrebs. Dick vernarbtes Gewebe. Ein Schlachtfeld. Er hätte sie gerne gefragt, warum sie die Brust nicht wieder hatte aufbauen lassen, wie er es von der Frau eines Kollegen gehört hatte. Ihr versteinerter Ausdruck damals hatte ihn jedoch verstummen lassen.
Er stellte die klebrigen Becher in die Spülmaschine und guckte aus dem Fenster. Es dämmerte. Die benachbarten Häuschen schienen unvermietet zu sein. Ende Januar war kaum etwas los in der Siedlung in den Dünen.
Fred rollte mit den Schultern. Er spürte die verspannte Muskulatur. „Wärme, ein bisschen Massage würden jetzt gut tun.“, dachte er bei sich. Er ging ins Bad mit dem Whirlpool, in dem vier Personen Platz hatten. Er ließ das Wasser ein. Ihm kam eine Idee: „Wenn das Wasser von einer hohen Schaumschicht bedeckt ist, mag Ute bestimmt mit in die Wanne kommen. Dann kann ich nämlich ihre Stelle nicht sehen.“
Er goss seine fast volle Flasche Duschgel hinein. Im heißen Wasser lösten sich die mintgrünen Schlieren schnell auf und bildeten durch die Düsen immer mehr Schaum. Bald quoll er über den Rand. Fred lachte. Er zog sich aus und stieg hinein. Der Schaum wuchs weiter, bildete mittlerweile einen Ring auf den Fliesen um die Wanne.
Ute kam zurück und hörte Fred im Bad laut und falsch das Quietscheentchen-Lied aus der Sesamstraße singen. Sie schmunzelte und klopfte an die Badezimmertür.
„Komm rein!“
Ute öffnete die Tür, ihre Brille beschlug, fast wäre sie ausgerutscht.
„Du bist mal wieder drüber!“, schnaubte sie, drehte sich um, rief die Hunde und verließ das Haus.
Fred war sicher: „Die kommt schon zurück.“ Er pustete in die Bläschen. „Und dann erzähle ich ihr was Faszinierendes: Quantenmechanik.“
Er holte tief Luft, hielt sie an und rutschte unter den Schaum.