Kurzgeschichten von Anne Wöckener-Gerber
Kurzgeschichten von Anne Wöckener-Gerber

Gönn dir

 

Die Flüssigkeit in der Trommel aus Plexiglas verwirbelte und schäumte. Das gurgelnde Geräusch, das dabei entstand, kam dem echten beim Eintauchen eines Ruderblattes ins Wasser recht nah. Bernhard hatte sich für den Kauf dieser Rudermaschine entschieden, auch wenn der Preis doppelt so hoch war wie für eine, die ebenfalls sehr gute Bewertungen erzielt hatte.

Er gab sich ganz dem Bewegungsablauf und der Atmung hin. Die Zeiten, wo er im Club am liebsten im Achter gerudert war und das „Ziiieh!“ des Steuermanns den Takt vorgab, waren lange vorbei, aber manchmal konnte er auch auf dem Gerät so gut entspannen, dass er in eine Art Trance fiel. Wie auf dem Wasser war er dann ein anderer: da war er schnell, da zog er durch, da wogen die 30 kg Übergewicht nicht so schwer.

 

Bernhard schwitzte und schnaufte, er verlangsamte das Tempo. Er wollte noch kurz duschen und dann zurück in die Apotheke. Er rechnete damit, dass ihn schmallippige und schnippische PTAs erwarten würden. Sie konnten es nicht ausstehen, wenn er seine Mittagspause mal wieder überdehnt hatte. Bernhard verstand nicht, warum sie seine Abwesenheit nicht nutzten, die Chefrolle auszuprobieren. Er nahm sich vor, sie mit Konzertkarten für Ed Sheeran bei Laune zu halten.

Bernhard hörte, wie der Schlüssel in der Haustür des Wochenendhauses gedreht wurde. Die Putzfrau kam immer montags, es konnte also nur Manuela sein, seine Lebensgefährtin und Geschäftspartnerin.

Seine Geschäfte liefen gut, sehr gut. Er führte in 5. Generation die Apotheke in der nahen Kleinstadt, direkt am Markplatz in der malerischen Altstadt. Nach und nach hatte er weitere dazu gekauft, so auch die in einem Hochhausviertel, das als sozialer Brennpunkt galt, und jetzt von Manuela geleitet wurde. Sie stammte von dort und traf den richtigen Ton bei der Kundschaft.

Jasper, Bernhards Sohn aus erster Ehe, hatte ihn nach seiner ersten Begegnung mit Manuela gefragt, warum Bernhard eine Kassiererin von penny eingeladen hätte. Bernhard schämte sich für dessen snobistische Anwandlungen.

 

„Bernhard?“, rief Manuela beim Hereinkommen. „Ich habe deinen Wagen in der Auffahrt gesehen.“ Sie schlüpfte aus den Pumps in die Filzpantoffeln. Bernhard blieb auf dem Rollsitz sitzen. „Ja, ich musste mal raus. Und was treibt dich hierher?“

„Och, ich hatte einfach nur Lust, mir in die Ruhe die Fingernängel neu zu lackieren.“

„Mhm“, machte Bernhard.

Manuela schlenderte ins Bad und kam mit den Utensilien und mehreren Fläschchen Nagellack zurück in den Raum, wo Bernhard die Rudermaschine neben dem Esstisch aufgestellt hatte. Sie schob den Tischläufer, den Bernhards Mutter als junge Frau in dem traditionellen Muster ihrer baltischen Heimat bestickt hatte, beiseite und setzte sich.

„Na, Hertha, was meinst du?“, fragte sie dem Bild zugewandt, das am Kopfende des Tisches hing. Das Bild zeigte Bernhards Mutter, das sein Vater von ihr anlässlich ihres 40. Geburtstags hatte malen lassen: eine Frau mit dicken blonden Haaren, strengem Blick und stolzer Haltung. Der herrische Gesamteindruck wurde durch eine Stupsnase und einen üppigen Busen abgemildert.

Manuela kannte Bernhards Mutter nur von den zahlreichen Erzählungen. Sie war gestorben kurz bevor sich Manuela und Bernhard kennengelernt hatten.

„Welche Farbe soll ich nehmen?“

„Das dunkle Rot.“

„Ach, ich glaube, ich nehme doch lieber das Orange.“

Bernhard guckte von seinem Platz aus durch die doppelflügelige Terrassentür über den Rasen und den kleinen Steg auf den See. Sein kinderloser Patenonkel hatte ihm das Häuschen vererbt. Bernhard hatte es zu seinem Rückzugsort umbauen und im schlichten, aber erlesenen skandinavischen Design ausgestalten lassen. Sein Blick blieb an dem vollgelaufenen Ruderboot hängen, das am Steg festgemacht war. Das letzte Mal, wo er darin gesessen hatte, war zwei Jahre her – mit Laura. Wehmütig dachte er an die junge, sinnliche Frau, die damals in einem schwingenden weißen Sommerkleid als Mitarbeiterin eines Pharma-Unternehmens in sein Leben getreten war und 16 Wochen später in einem dunkelblauen Hosenanzug wieder hinaus. Dazwischen hatte er sie meist nackt gesehen. Sie hatten sich immer hier getroffen.

Manuela war zu der Zeit stark eingespannt gewesen, beruflich mit der Übernahme der neuen Apotheke und privat mit ihren beiden Söhnen aus erster Ehe, den Zwillingen Alexander und Maximilian, die mit Mitte 20 der Überzeugung waren, kurz vor dem Durchbruch als Deutsch-Rapper zu stehen und dafür die Tage verpennen und die Nächte mit Drogen durchfeiern zu müssen.

Einen Nachmittag waren Bernhard und Laura mit dem Boot in eine Bucht gerudert und waren beim Ausprobieren einer neuen Stellung ins Wasser gefallen. Prustend und lachend hatten sie versucht, wieder ins Boot zu krabbeln, was jedoch nicht gelang. So hatten sie sich im Wasser geliebt.

Bernhard hatte sich gewünscht, es möge immer so weitergehen mit diesem unbeschwerten Rausch. Laura hatte irgendwann doch etwas anderes gewollt.
Sie ist frustriert gewesen von Bernhards Eigenschaft, die sie als sture Unentschlossenheit bezeichnet hatte. Er war sich sicher, Laura hatte gespürt, dass sich dahinter ein Abgrund verbarg. Sie hatte Reißaus genommen. Er konnte es verstehen.

Bernhard drehte sich leicht zu Manuela um. „Warum schläfst du nicht mehr mit mir?“, platze es aus ihm heraus.

„Ich habe einfach keine Lust.“, antwortete Manuela, ohne von ihren Händen aufzusehen.

„Du hast nur Lust, deine Nägel zu lackieren?“

„Genau!“

„Was würdest du sagen, wenn ich eine Geliebte hätte?“

„Dass ich sie dir gönne.“

Bernhard heulte auf wie ein getretener Hund.

Manuela nahm die Nagelschere und zerschnitt langsam den Tischläufer.

Bernhards Herz raste.

Manuela schüttete den Nagellackentferner auf die geölte Eiche der Tischplatte.

Bernhards stramme Erektion war nicht mehr zu übersehen. 

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© Anne Wöckener-Gerber